Quantcast
Channel: Le Schicken | Verlag »österreich
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Im Kaffeehaus

$
0
0

Eines der besten Dinge an München ist ja, dass man sehr schnell woanders sein kann. Während man in Berlin ewige Strecken zurücklegt und dann immer noch in Berlin ist, und dann halt irgendwann in Brandenburg, fahren wir am Samstag nach Salzburg und damit ins Tomaselli mit seinen geschnitzten Holzpfeilern, großen Spiegeln und ovalen Ölporträts. Das Tomaselli ist das älteste noch betriebene Kaffeehaus in ganz Österreich, ein Habsburger Relikt, in dem der immer selbe Oberkellner einem die Gnade seiner Bedienung zuteilwerden lässt. Das wirklich Spektakuläre aber sind die „Kuchendamen“ in schwarzen Kleidern und weißen Spitzenschürzen, die mit riesigen silbernen Tabletts voller Tortenstücke von Tisch zu Tisch wandeln. Nachdem man sein Stück ausgewählt hat, bezahlt man es direkt bei der jeweiligen Kuchendame, während die Getränke über den Kellner im Smoking laufen.

Ich entscheide mich für die Spezialität des Hauses, die Salzburger Nockerlschnitte, eine Abwandlung der Salzburger Nockerln, einer landestypischen Nachspeise, die aus geschlagenen Eiern und Zucker besteht und warm serviert wird. In der Kuchenvariante ist eine schaumige helle Creme auf eine fruchtige Creme und einen lockeren Teig geschichtet. Dazu ordere ich einen einfachen Kaffee. Ein Wunsch, der mir gleich eine väterliche Belehrung vonseiten des Kellners einbringt, der offenbar viel Geduld mit den Ausländern aufbringen muss: „Mocca. Das nennt man bei uns Mocca.“ Jut, nehm ick.

Nicht wenige germanistische Dissertationen untersuchen das Kaffeehaus als einen Raum, in dem Literatur entsteht. Dafür ist das Kaffeehaus sicherlich ein vortrefflicher Ort, vor allem, wenn man das Verfassen eines Romans als rein seismographische Tätigkeit versteht, bei der man einfach das Gequatsche von den Nachbartischen mitschreibt. Nebenan gibt eine ältere Dame einem jungen Mann aus Portugal einen Konversationskurs. Seine stockende Erzählung von einem Flug nach Porto berichtigt sie ganz entschieden: „Ah geh, du meinst, du hast den Flieger nach Porto nimmer erwischt und musstest am Flughafen von Wean verweilen, das ist natürlich lästig.“ Es ist eine Blüte von besonders befremdender Schönheit, die die EU-Erweiterung hier treibt, wenn ein junger Portugiese nach Salzburg reist, um von einer pensionierten österreichischen Lehrerin aus Wien den Schönbrunner Dialekt zu erlernen.

„Solche Kuchendamen existieren sonst net mehr in österreichischen Kaffeehäusern“, doziert die Lehrerin gerade und stochert etwas pikiert ob dieses Kulturverfalls in ihrem mit Blaubeeren gefüllten Sachertörtchen. Der Kellner bringt die Tasse Mocca, dazu ein kleines Kännchen Milch und ein Glas Wasser, alles stilecht auf einem kleinen Silbertablett arrangiert. Auf jedem zweiten Tisch stapeln sich die mit Mozartkugeln gefüllten Geschenktüten der Konditorei Fürst: Die Salzburger Altstadt mit dem Tomaselli als Zentrum ist eine Enklave der Österreich-Nostalgie und des Sissi-Feelings.

Wer noch was anderes will, braucht nur ein paar hundert Meter weiter zu laufen, vorbei an Mozarts Geburtshaus, direkt in den örtlichen Irish Pub, wo eine bunt tätowierte Rockabilly-Anhängerin mit breitem Kreuz Burger serviert, die man im Stehen zwischen brüllenden Rugby-Fans verzehrt. „No sleep till death“ ist auf der Haut zwischen ihren Rückenblättern zu lesen. Ohne Zweifel auch eine interessante Umgebung für seismographische Tätigkeiten.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images

Trending Articles